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Offener Brief an die Sozialpartner zum Kinderbetreuungs-Gipfel

Am 10. Jänner veranstalten die Sozialpartner (Vertreter von Wirtschaft und Dienstnehmer) einen Gipfle zum Thema Kinderbetreuung. Family Business Geschäftsführerin Alice Pitzinger-Ryba hat an die Teilnehmer einen offenen Brief gesendet und appelliert, dass das Kindeswohl und flexible Einrichtungen nicht vergessen werden.

Liebe Sozialpartnerinnen! (Ich muss es nicht gendern, weil keine Männer beim Gipfel dabei sind, warum eigentlich nicht?- wäre es nicht wichtig, dass auch Männer sich der Verantwortung für Kinderbetreuung bewußt werden?)

Unser Verein Family Business (www.kinderbetreuung.at) kümmert sich seit 24 Jahren um das Thema Kinderbetreuung in seiner vielfältigen Ausformung. Wir verzeichnen auf unserer Homepage bis zu 53.000 Seitenaufrufe / 25.000 Unique User pro Monat! Unsere kostenlose Kinderbetreuungs-Hotline 0800 20 20 99 ist 24 Stunden geöffnet. Wir wissen daher wie kaum jemand anderer wie es um das Thema Kinderbetreuung in der Praxis wirklich steht. Wir möchten daher für den bevorstehenden Kinderbetreuungsgipfel - den ich sehr begrüße - einen praxisnahen Input liefern. 

Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Aufschreie aus den Kindergärten nicht entgangen sind: 

Hierzu einige Zitate: 

Kurier vom 9. Oktober 2022:

"Ein Raum voll schreiender Kinder. Du sitzt irgendwann nur noch am Boden, die Kinder liegen um dich herum und du schaust, dass das eine Kind nicht über das andere herfällt oder auf das Baby steigt.“.. Oder „Ich bin oft stundenweise mit 50!!!! Kindern alleine  - da geht es nur noch darum, dass keiner stirbt. Die schlimmsten Momente sind,  wenn sich gerade drei Kinder gleichzeitig in die Hose machen, ein Kind aus dem Fenster klettert und drei Eingewöhnungskinder zu ihrer Mama wollen,.. oder „ Durch Bindung an die Kinder kann Bildung entstehen, aber dafür bleibt einfach keine Zeit“,.. 

Ähnlich  in der „ZEIT“ vom 17. November 2022:

„Massenabfertigung", kein Spielen mehr möglich,.. 

ORF.at am 23. Dezember 2022:

Nach einer Studie des ÖIBF im Auftrag des Bildungsministeriums fehlen 13.700 Fachkräfte für den KIGA, bei einer Verbesserung des Fachkraft-Kind-Verhältnisses wären es sogar 20.200! 

1. Das heißt, einen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen zu fordern greift viel zu kurz und löst das Problem nicht, da überall Personal fehlt. Und ich traue mich auch das Wort „Kindeswohl" in die Diskussion zu werfen. Für Kleinkinder ist die Situation derzeit auf Grund des Personalmangels nicht mehr mit deren Wohlergehen vereinbar. Das ist n i c h t ideologisch gemeint oder begründet. Daher ist vorrangig

 - die Qualität in den Kleinkindbetreuungen zu verbessern (uns berichten auch Eltern Schauergeschichten, etwa von nicht gewickelten Kindern.) Das ist nur durch einen höheren Betreuungsschlüssel möglich. Es ist nicht zwingend notwendig bei der Kleinkindbetreuung nur auf hochqualifiziertes Personal zu bauen. Es gibt so viele Handreichungen, wie wickeln, anziehen für Spaziergänge, etc. die mit Hilfspersonal sehr gut bewältigbar wären und die Pädagoginnen für pädagogische Arbeit freispielen würden. 

Als Anregung könnte man ebenso wie im Pflegebereich Anreize für jungen Menschen schaffen.

2. „Nine-to-five“ Jobs werden immer weniger, daher benötigen sehr viele Familien (bitte vertrauen Sie unserer fast 25jährigen Erfahrung aus der Praxis) Betreuung ab 5.30 Uhr in der Früh bis der Kiga/Schule beginnt und Betreuung am frühen Abend und am Wochenende. Dafür sind Institutionen nur bedingt geeignet und es ist auch nicht finanzierbar. Daher muß auch ein Schwerpunkt auf die familiennahe Betreuung gelegt werden: Tagesmütter, Leihomas, Babysitter und Aupairkräfte müssen mehr in den (legalen) und vor allem leistbaren Fokus gerückt werden. 

- Prinzipiell ist es möglich als selbständige Kinderbetreuerin (freies Gewerbe) zu arbeiten, dies müsste gefördert werden. 

- der Dienstleistungsscheck müsste für Kinderbetreuung zu Hause ausgebaut werden, derzeit sind nur max. 10 Stunden in der Woche möglich,… 

- Aupairkräfte decken Randzeiten und Wochenende perfekt an, mittlerweile kostet aber ein Aupair in Österreich ca. 10.000 Euro im Jahr für 18 Stunden Kinderbetreuung in der Woche (vgl. z.B. Deutschland, wo das Aupair 90 Euro Taschengeld pro Woche bekommt und 30 Stunden zur Verfügung stehen muss.) Das ist einmalig in Europa und auf der ganzen Welt, dass ein Aupair eine ArbeitnehmerIn nach dem österreichischen Arbeitsrecht ist und 15! Monatsgehälter bekommt (Kollektivvertrag Hausangestellte) . Eine Reform steht dringend an!

Aupair d a r f kein Programm nur für Gutverdienende sein! Bevor diese an der Aupairidee vorbeiführende arbeitsrechtliche Bestimmung eingeführt wurde, haben sehr viele Alleinerzieherinnen von uns Aupairkräfte bekommen, da diese perfekt Arbeitszeiten im Handel abdecken konnten! Ebenso sind Aupairkräfte für Selbständig Erwerbstätige sehr von Vorteil, weil diese an Wochenenden zur Verfügung stehen. 

Als Schutz für Aupairkräfte einerseits und auch für Eltern andererseits sollte eine Agenturpflicht eingeführt werden. Das dient dazu, dass nicht im Internet reger Handel mit Aupairs betrieben wird. 

Ich appelliere mit aller Kraft an Sie, liebe Sozialpartnerinnen, sich nicht nur mit den Ausbau von institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen zu beschäftigen, sondern das Problem umfassend anzugehen. Wir wollen alle eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch das Frauen schnell, wenn sie es wollen, wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. D a s darf aber n i c h t auf Kosten unserer Kinder, die unsere Zukunft sind, geschehen. Es muss eine Balance zwischen verfügbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten und dem Kinderwohl möglich sein. 

In diesem Sinn wünsche ich dem Kinderbetreuungsgipfel gutes Gelingen!

Mit freundlichen Grüßen
 
Alice Pitzinger-Ryba
Geschäftsführerin