Hauptinhalt

Familie und Beruf am Prüfstand

Wie erleben Eltern mit Kindern im Kindergarten- und Schulalter ihre Arbeits- und Lebenssituation und die mit der Ausbreitung des Coronavirus einhergehenden Maßnahmen (z.B. Ausgangsbeschränkungen, Social Distancing, Homeoffice. Die Arbeiterkammer Wien hat das Institut für Soziologie der Universität Wien mit einer Sonderauswertung einer groß angelegten qualitativen Längsschnittuntersuchung beauftragt. Dabei wurde die Situation der Vereinbarkeit von Beruf und Familie während der Corona-Pandemie im Zeitraum März bis Dezember 2020 beleuchtet. 

Folgende drei Themenbereiche standen im Fokus:

  • Berufliche Situation
     
  • Vereinbarkeit von Beruf und Care Arbeit
     
  • Schule, Kindergarten und Kinderbetreuung

Die zentralen Ergebnisse
„Eltern standen unter sehr hohem Flexibilitäts- und Anpassungsdruck – und zwar von allen Seiten, sei es vom Arbeitgeber, von der Schule, vom Kindergarten oder von der Politik“, sagt Studienautorin Ulrike Zartler. Und weiter: „Eltern haben mit ihrer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität die Starrheit von anderen Institutionen und AkteurInnen im Bildungsbereich und in der Arbeitswelt kompensiert.“ 

Berufliche Situation

  • Instabile Arbeitszeiten erschwerten die Familienorganisation und die Sicherstellung der Kinderbetreuung. Arbeitszeiten wurden mehrfach und oft sehr kurzfristig verändert.
  • Befragte in systemrelevanten Berufen belastete die Angst, durch eine Ansteckung am Arbeitsplatz ihre Familie zu gefährden. Sie und Alleinerziehende waren von den Schließungen der Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen am stärksten betroffen.
  • Befragte im Homeoffice verlagerten ihre Arbeit häufig an Tagesrandzeiten oder auf das Wochenende. Permanente Vermischung von Beruf und Familienleben wurde zunehmend zur Belastung.
  • Eltern – vor allem Mütter – im Homeoffice arbeiteten an provisorischen, ergonomisch und technisch großteils nicht adäquaten Arbeitsplätzen.
  • Befragte, die von Kurzarbeit oder sogar Arbeitslosigkeit betroffen waren, wurden von finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten geplagt.

Vereinbarkeit von Beruf und Care Arbeit

  • Aufwand für unbezahlte Arbeit war wesentlich höher und zeitintensiver als vor der Krise.
  • Zusätzlicher Mehraufwand durch Kinderbetreuung, Homeschooling, Hausarbeit, Kochen, etc. wurde vor allem von den Frauen übernommen. Männer übernahmen jene Tätigkeiten, die sie auch schon vor der Pandemie zu ihrem Aufgabenbereich zählten. Die befragten Frauen erzählten im Zeitverlauf der Studie zunehmend von dem Gefühl, von ihren Partnern alleine gelassen zu werden.
  • Damit kam es zu keiner grundlegenden Veränderung der familiären Aufgaben- und Ressourcenverteilung.
  • Alleinerzieherinnen erlebten die Krise als besonders schwierig. Im Laufe der Zeit wurde es für sie immer schwieriger, Kinderbetreuung und Homeschooling neben Beruf und Haushalt sicher zu stellen. Sie kämpften auch mit Gefühlen von Einsamkeit und Isolation.

Homeschooling und institutionelle Kinderbetreuung

  • Ziel aller Eltern mit Schulkindern: Motivation ihrer Kinder während des Homeschooling fördern und mögliche Bildungsnachteile vermeiden.
  • Der Familienalltag musste mehrmals angepasst werden, da sich ständig die Rahmenbedingungen änderten, was oft schwierig mit der beruflichen Situation vereinbar war.
  • Eltern kämpften mit schlechtem Gewissen, wenn sie institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch nahmen. Dies wurde im Zeitverlauf aber zunehmend in Kauf genommen, weil es Entlastung für die Familie brachte.
  • Eltern mussten das Fehlen von FreundInnen und SpielkameradInnen kompensieren, selbst die pädagogische Begleitung übernehmen oder nach externer Unterstützung suchen (was wiederum stark von den finanziellen Mitteln und den sozialen Netzwerken der Eltern abhing).
  • Eltern thematisierten deshalb mit zunehmender Dauer ihre eigene Kraftlosigkeit, die emotionalen und psychischen Belastungen ihrer Kinder und ab dem Herbst auch Befürchtungen, eine weitere Phase von de facto Schulschließungen nicht mehr bewältigen zu können.

Mittlerweile ist die schrittweise Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung kein frauenpolitisches Anliegen mehr, sondern ein parteienübergreifendes, gesellschaftspolitisches.

Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Verbessert werden muss vor allem das Angebot der Kinderbildung. Aktuell gibt Österreich 0,67 Prozent des BIP in diesem Bereich aus. „

Konkret:

  • eine Verbesserung der Betreuungsquote der Unter-3-Jährigen
  • eine Ausweitung der Öffnungszeiten
  • ein zweites kostenloses Kindergartenjahr für alle
  • ein massiver Qualitätsschub durch zusätzliche Fachkräfte  

Insgesamt würden infolge der erhöhten Investitionen 32.000 neue Plätze entstehen und fast 70.000 mit verbesserten Öffnungszeiten. Zudem würden direkt in der Kinderbildung knapp 27.000 neue Jobs entstehen und – je nach konjunktureller Entwicklung – rechnet die AK mit 18.000 bis 31.000 Menschen, die aufgrund der verbesserten Vereinbarkeit eine Tätigkeit aufnehmen oder ausweiten könnten. Dazu Anderl: „Mehr Plätze und verbesserte Öffnungszeiten – so könnten die Eltern – und hier vor allem die Mütter – besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.“